Sich mit Armut auseinanderzusetzen bereichert

Sich mit Armut auseinanderzusetzen bereichert

Bild: Stefanie Arpagaus in einer Straßenbibliothek in Basel

In den letzten sechs Monaten hat Stefanie bei ATD Vierte Welt im nationalen Zentrum in Treyvaux und in der Regionalgruppe in Basel ein Praktikum absolviert. Es war Teil ihres Studiums der Sozialen Arbeit an der Berner Fachhochschule.

Während meines Praktikums durfte ich das Forschungsprojekt «Armut-Identität-Gesellschaft» begleiten. Einerseits übernahm ich organisatorische Aufgaben und andererseits durfte ich bei Vorbereitungstreffen einer Gruppe von Menschen mit Armutserfahrung sowie bei der Wissenswerkstatt dabei sein. Zusätzlich habe ich in Basel eine Situationsanalyse durchgeführt. Es wurden Interviews mit Personen mit Armutserfahrung und mit Institutionen in Basel geführt, welche mit armutsbetroffenen Menschen arbeiten. So sollte herausgefunden werden, wie sich Armut in Basel zeigt und welche Rolle ATD Vierte Welt in Basel zukünftig einnehmen kann und soll. Die COVID-19 Situation erschwerte den persönlichen Austausch mit armutserfahrenen Personen, dafür haben mich jedoch die wenigen Kontakte, welche ich hatte, umso mehr geprägt.

Bereits vor Beginn des Praktikums wusste ich, dass dies kein klassisches Praktikum der Sozialen Arbeit sein würde. Der offene Austausch mit Personen mit Armutserfahrung und die Begleitung der Wissenswerkstatt regten mich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit meiner professionellen Identität an. Ich konnte viel über die Lebensrealität von Menschen in Armut lernen und vermute, dass ich in kaum einem anderen Praktikum so ehrliche Schilderungen über die persönlichen Auswirkungen der Armut gehört hätte. Diese Erfahrungsberichte werden mir auch künftig bei meiner Arbeit helfen, die Situation von armutsbetroffenen Personen besser zu verstehen. Die Tätigkeit in der Sozialen Arbeit wird für mich wahrscheinlich nie einfach ein «Job» sein; vielmehr ist sie etwas Politisches. Zusätzlich sollte das eigene Handeln als Sozialarbeiterin regelmässig kritisch reflektiert und hinterfragt werden. Vielen Menschen ist nicht bewusst, was es bedeutet, in Armut zu leben und für wie viele Personen in der Schweiz ein Leben in Armut Realität ist.Mir persönlich waren insbesondere die vielschichtigen Dimensionen der Armut vor meinem Praktikum nicht bewusst. Es scheint mir wichtig, setzt sich eine Bewegung wie ATD Vierte Welt gemeinsam mit armutsbetroffenen Personen dafür ein, auf diese Umstände aufmerksam zu machen und Veränderungen voranzutreiben.

Kurz nach dem Praktikumsstart fiel mir auf, wie wichtig das Zuhören und ganzheitliche Verstehen seines Gegenübers bei ATD Vierte Welt ist. Durch aktives Zuhören und einer stets neugierigen Haltung konnte ich sehr viel über die Lebensrealität von Menschen in Armut lernen, wahrscheinlich mehr als aus jeder Studie oder Theorie. Ein gutes Übungsfeld, um diese Methode anzuwenden, waren die Interviews, welche ich mit armut-serfahrenen Personen für die Situationsanalyse in Basel gemacht habe. Bei den Gesprächen wurde mir auch bewusst, wie wichtig es ist, Stille zuzulassen und auszuhalten, weil dadurch neue Gedanken formuliert werden können. Diese Erkenntnisse werden mich bestimmt weiter begleiten und ich werde versuchen, dies in anderen professionellen Situationen anzuwenden.

Ich kann auf ein spannendes Praktikum zurückblicken, welches mich zur Auseinandersetzung mit meiner professionellen Identität angeregt und meine Haltung und mein Wissen zum Thema Armut bereichert hat. Ich bin sehr dankbar, hat mich mein Praxisausbildner Michael Zeier im gesamten Prak-tikum unterstützt und mir auch die Freiheitgegeben, eigene Erfahrungen zu sammeln. Auch möchte ich dem ganzen Team meinen Dank für die angenehme Zusammenarbeit aussprechen. Ich werde unsere Diskussionen und Reflexionen in bester Erinnerung behalten. Einen besonderen Dank möchte ich den armutserfahrenen Menschen aussprechen, die mit mir offen und ehrlich aus ihrem Leben sprachen und mir ihre Sicht zum Thema Armut näherbrachten. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse werden mich in Zukunft stets begleiten. Ich bin gespannt, wo mich mein Studium noch hinführen wird.

Stefanie Arpagaus