Ein der Arbeit gewidmeter 17. Oktober

Deliberative Demokratie in Aktion: Publikum und PolitikerInnen debattieren am 17. Oktober in Boncourt. © 17octobre.ch

Der 17. Oktober, der Welttag zur Überwindung der Armut, stand in diesem Jahr unter dem Motto „Menschenwürdige Arbeit und Sozialschutz – Die Würde für alle konkret machen“. Unsere Mitglieder in Basel, Boncourt, Bulle, Genf, La Chaux-de-Fonds, Neuenburg, Rorschach oder Sainte-Croix trugen dieses Thema auf unterschiedliche Weise nach aussen, oft durch die Weitergabe der Ergebnisse unseres Forschungsprojekts „Armut – Identität – Gesellschaft“ und fast jedes Mal in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die sich für die Bekämpfung der Armut einsetzen. Hier sind zwei Höhepunkte des Tages.

Mit Hilfe von Mikrodebatten luden die Stadt Bulle, die Unité pastorale Notre-Dame de Compassion, Bulle Sympa, Caritas Fribourg und ATD Vierte Welt die Bevölkerung ein, sich für eine Welt frei von Armut einzusetzen. An den Bäumen waren Botschaften angebracht worden, um diese Mikrodebatten zu unterstützen – Botschaften wie „Ich fühle mich ohnmächtig und gleichzeitig empört es mich“, „Die Bedeutung einer Begleitung, die hilft, wieder auf die Beine zu kommen“ oder „Ein guter Teil der Kinder von Eltern, die Sozialhilfe beziehen, fällt in die Sozialhilfe“.

In Boncourt organisierten und leiteten Emmaüs und ATD Vierte Welt gemeinsam einen Dialog im Sinne einer deliberativen Demokratie1. Zunächst wurden drei Themen 20 Minuten lang zur Diskussion gestellt: „Eine bürgerliche Kreislaufwirtschaft“, „Mobilisierung des Erfahrungswissens von Menschen, die von Armut betroffen sind“ und „Aufnahme der Zahnpflege in die Grundkrankenversicherung“. Jedes dieser Themen wurde mit zwei PolitikerInnen und Personen, die sich ihnen anschliessen wollten, an einem Tisch diskutiert. Daraufhin wurde darüber abgestimmt, welches der drei Themen von den PolitikerInnen öffentlich diskutiert werden sollte. In Anlehnung an den 1. Weltbericht über unsere Kämpfe gegen die Armut2 von Emmaüs und die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Armut – Identität – Gesellschaft“, das ATD von 2019 bis 2023 durchgeführt hat, entschied sich die Abstimmung für „Mobilisierung des Erfahrungswissens von Menschen mit Armutserfahrungen“. Aus den Beratungen der PolitikerInnen – darunter die Ministerin des Innendepartements von Republik und Kanton Jura (und Kandidatin für die eidgenössischen Wahlen vom am 22. Oktober 2023), eine Ständerätin, ein Nationalrat und fünf weitere Kandidatinnen und Kandidaten für diese Wahlen – gingen mehrere Punkte besonders stark hervor:

  • Die Beteiligung von Menschen, die von Armut betroffen sind, ist unerlässlich;
  • Menschen, die von Armut betroffen sind, müssen in die Projekte, die sie betreffen, einbezogen werden;
  • Menschen, die von Armut betroffen sind, wissen, was sie brauchen;
  • Man muss mit den von Armut betroffenen Menschen zusammendenken und ihre Erfahrungen und ihr Wissen auf die politische Ebene bringen;
  • Die beiden von ATD Vierte Welt und Emmaüs erstellten Berichte haben bisher zu wenig Beachtung in den Medien gefunden;
  • Es ist unerlässlich, Menschen, die von Armut betroffen sind, zuzuhören und ihre Äusserungen zu berücksichtigen.

Anzumerken ist, dass ATD Vierte Welt und Emmaüs beschlossen haben, ihre Zusammenarbeit im Kanton Jura über diesen 17. Oktober hinaus fortzusetzen und die Internetseite 17octobre.ch eingerichtet haben. Das collectif  17 octobre Jura ruft dort dazu auf, den Welttag zur Überwindung der Armut im Jahr 2024 vorzubereiten. Alle Politikerinnen und Politiker, die an der Debatte teilnahmen, erhielten ein Exemplar des Abschlussberichts unserer Forschung mit dem Titel „Beziehungen zwischen Institutionen, Gesellschaft und Menschen in Armut in der Schweiz: eine Gewalterfahrung, die weitergeht“.

  1. Die Hauptidee der deliberativen Demokratie ist, dass eine politische Entscheidung dann wirklich legitim ist, wenn sie durch öffentliche Beratungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern zustande kommt.
  2. Les Voix d’Emmaüs. 1er Rapport mondial sur nos combats contre la pauvreté, veröffentlicht von Emmaüs International, 2021. Verfügbar auf Englisch und Französisch unter www.emmaus-international.org.

Beiträge gesammelt und in Form gebracht von Perry Proellochs, Redakteur ATD Vierte Welt