Frühlingsbotschaft 2024

ATD Vierte Welt – 95480 Pierrelaye – Februar 2024
Illustration: Jacqueline Page
Layout: Camille Perrin-Smail
Gedruckt von Pubadresse (95)

„Was liegt näher, als sich zusammenzuschliessen, um ein Zeichen zu setzen, das mitten in die Welt des Elends gepflanzt wird, ein Zeichen, das die Hoffnung auf eine geschwisterliche Welt offenbart?“

Joseph Wresinski – Januar 1988

Mit Kindern und Mann hat Cécilia die Provinz verlassen und sich in einem Slum in Port-au-Prince niedergelassen. Sie leben in grosser Armut. „Mein Baby war sehr krank. Ich dachte, sie würde sterben. Ich bin mit ihr hin und her gerannt.“ Zum Glück rät ihr ein Cousin ihres Mannes, sich an Bébés Bienvenus zu wenden.

Im Haus Vierte Welt ist Bébés Bienvenus ein Programm zur Unterstützung der Eltern und der frühen Kindheit, das in Zusammenarbeit mit dem Quartiersgesundheitszentrum durchgeführt wird. Es stützt sich auf vier Säulen der Entwicklung von Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren: Ernährung, Gesundheitsfürsorge, frühe Stimulation und Zuneigung.

Cecilia hat sich heute Morgen sehr früh mit ihrer kleinen Madelie auf dem Arm auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, der in der Stadt herrschenden Unsicherheit zu entgehen. Jede Reise ist wegen der bewaffneten Banden riskant. Kaum hat sie das Tor durchschritten, wird sie von Louisamène, einer Volontärin von ATD Vierte Welt, mit einem Lächeln begrüsst. Nach und nach kommen die Worte. Cécilia erzählt: Ohne Arbeit, ohne Land, weit weg von ihren Angehörigen, leben sie von einem Tag zum andern. Die Angst. Die Gesundheit des Vaters verschlechtert sich. Es ist schwierig, die Kinder zu ernähren. Die Familie wird durch die Kommentare über die Unterernährung des Babys gedemütigt.

Die Anmeldefrist ist vorbei, aber für Louisamène und ihre Teamkolleginnen ist klar, dass das Programm weiterhin für Familien in Not offen ist. Als Cecilia sich ängstlich zeigt, sagt eine Frau zu ihr: „Mein Kind war wie deines, als ich ankam. Schau, das ist der, der da drüben rennt!“ Sie deutet auf einen grossen Raum mit kleinen, bunten Matratzen und Spielzeug. „Du kannst ihnen dein Kind anvertrauen.“ Cécilia übergibt Madelie in die Obhut des Arztes.

In den folgenden Wochen besucht Louisamène die Familie in einem Teil des Slums, den sie kaum kennt. Unterwegs fragt sie nach dem Weg. Man ist erstaunt: „Haben diese Leute Freunde?

Cecilia wird zu einer treuen Besucherin der Elterntreffen von Bébés Bienvenus.

Am Anfang ist sie eingeschüchtert und traut sich nicht, das Wort zu ergreifen. Die Moderatorinnen sind sehr aufmerksam. Im Laufe der Wochen fragen sie sie nach ihrer Meinung zu den Themen, die bei den Treffen besprochen werden: Selbstwertgefühl, Choleraprävention, Kinder- und Frauenrechte…

Cecilia sammelt gewissenhaft ihre Ratschläge zu Ernährung und Förderung der Entwicklung. „Ich habe mich dank Bébés Bienvenus verändert. Ich habe gelernt, wie ich mich um mein Kind kümmern kann, auch dank der Eltern, weil wir uns gut verstanden haben. Früher wusste ich nicht, wie man mit so wenig Geld eine ausgewogene Mahlzeit zubereitet. Ich habe gelernt, wie man Wasser aufbereitet.

Nach mehreren Monaten der Ernährungsberatung ist die kleine Madelie wieder gesund. Cécilia ermutigt ihrerseits Eltern, die mit dem gleichen Elend konfrontiert sind: „Gebt nicht auf. Es ist nie verloren. Hier freunden wir uns mit den anderen Müttern an, wir lachen und beruhigen uns. Wenn wir das tun, was uns Freude bereitet, lässt es uns leben.

Sie ist stolz darauf, dass sie ihren Nachbarn erklären kann, wie man ein Rehydratationsserum herstellt, und freut sich, dass sie von ihnen anders betrachtet wird. „Früher legten sie keinen Wert auf das, was ich sagte.

Louisamène weiss, dass die gemeinschaftliche Dimension von Bébés Bienvenus es Eltern und Kindern ermöglicht, wieder Fuss zu fassen und ihren Platz in einer Gruppe zu finden. Sie hat es miterlebt, dass „wenn das Kind anfängt, wieder lebendig zu werden, die Eltern mit ihm wieder lebendig werden.

Liebe Freunde, liebe Freundinnen!

In Haiti versammeln sich jede Woche rund 100 Mütter um Louisamène und ihre Teamkolleginnen, um die Isolation zu durchbrechen, sich mit Wissen über Gesundheit und Krankheit zu wappnen, den Stress zu bekämpfen, gemeinsam Lösungen und die nötige Unterstützung zu finden, damit die Kinder trotz aller Herausforderungen möglichst gut aufwachsen können. Unauffällig und hartnäckig bauen sie inmitten von Chaos und Krieg an der Zukunft. Sie helfen Müttern, nicht zugrunde zu gehen, Solidarität und Selbstachtung zu pflegen, um ihr Leben selbst zu gestalten. Ihr Widerstand besteht darin, mit der notwendigen Vorsicht das Mögliche zu tun, ohne sich von Angst lähmen zu lassen.

Ihre Spenden anerkennen und unterstützen die Präsenz und das Wirken der Teams von ATD Vierte Welt, um die Hoffnung dort wiederzufinden, wo man sie verloren glaubt.Wir sind darauf angewiesen. Vielen Dank für Ihre Grosszügigkeit.

Bruno Dabout
Generaldelegierter