Medienmitteilung zum 17. Oktober und zu den eidgenössischen Wahlen

In dieser Zeit der eidgenössischen Wahlen, die mit dem 17. Oktober, dem Welttag zur Überwindung der Armut, zusammenfällt, ist das Schweigen der Kandidatinnen und Kandidaten zur Armut eines wachsenden Teils der Bevölkerung in der Schweiz besorgniserregend. Es ist Ausdruck einer Unkenntnis der gelebten Realitäten und der Mechanismen, die sie aufrechterhalten, einer Unkenntnis, die die Umsetzung der erwarteten grundlegenden Veränderungen verhindert und so Hunderttausende von Menschen in einer unannehmbaren sozialen Diskriminierung hält.

„Was repräsentiere ich für euch? Seht ihr mich als Menschen? Oder eher als Abschaum? Bin ich fur euch jemand, ein normaler Mensch mit Potenzial? Oder bin ich eine komplette Null, weil ich nicht die Schulen besuchen und die Ausbildung machen konnte, die ich wollte? Und dann bin ich sowieso zum Scheitern verurteilt und ein Versager. Das ist die Frage: Wie seht ihr mich?“

Diese Frage steht im Zentrum der Forschung „Armut – Identität – Gesellschaft“, die von 2019 bis 2023 von ATD Vierte Welt durchgeführt wurde: armutsbetroffene Menschen, WissenschaftlerInnen und Fachleute aus dem Sozialbereich haben gemeinsam nach der Methode des Wissen-Kreuzens untersucht, was es heute in der Schweiz bedeutet, in Armut zu leben und auf Unterstützung angewiesen zu sein. Diese vom Bundesamt für Justiz unterstützte Forschung hat zu einem kollektiven Wissen geführt, das die Beziehungen zwischen der Gesellschaft, den Institutionen und den von Armut betroffenen Menschen beleuchtet. Der Schlussbericht dieses Projekts zeigt auch Wege auf, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen.

Veränderungen müssen in den verschiedenen Handlungsfeldern – Politik, Gesetzgebung, Gesellschaft, Institutionen, Wissenschaft, Ausbildung – und unter Einbezug wesentlicher Dimensionen stattfinden, wie Armut kennen, verstehen und anerkennen, um sie wirksam bekämpfen zu können, die Handlungsfähigkeit stärken und Veränderungen zusammen mit den von Armut betroffenen Menschen und ihrer Expertise durchführen.

Der Bericht „Beziehungen zwischen Institutionen, Gesellschaft und Menschen in Armut in der Schweiz: eine Gewalterfahrung, die weitergeht“ erschüttert – sowohl diejenigen, die sich darin wiedererkennen, als auch diejenigen, deren Beruf es ist, zur Bekämpfung der Armut beizutragen. Seit seiner Veröffentlichung im Mai 2023 greifen ihn Bundesbehörden, Hochschulen, Sozialdienste und Vereine auf, verbreiten ihn, nutzen ihn für die Entwicklung von Weiterbildungen, für Projekte zur Verbesserung ihrer Dienstleistungen oder laden Menschen mit Armutserfahrung zu öffentlichen Präsentationen und Diskussionen in ihren Einrichtungen ein.

Die Gesellschaft, die zu den nächsten Wahlen aufgerufen ist, hat sich der Herausforderung der anhaltenden Armut und der Notwendigkeit des Beitrags der Menschen, die in ihr leben, angenommen. Wie steht es um die Kandidatinnen und Kandidaten für die eidgenössischen Wahlen?

Medienkontakt: Tel. 077 437 87 11 und/oder annelise.oeschger@atd.ch
(Pour les francophones: tél. 078 408 60 11 et/ou anne-claire.brand@atd-quartmonde.org)