Ansätze für Veränderungen im professionellen Bereich

Lorraine Odier

Lorraine Odier beim Kolloquium Endlosschlaufe Armut: welche Verantwortung für unsere Gesellschaft?» am 9. Mai 2023 in Bern

Die folgende Rede wurde von Lorraine Odier, von Beruf Soziologin und Senior Researcher am „Observatoire latin de l’enfance et la jeunesse“, anlässlich des Kolloquiums „Endlosschlaufe Armut: welche Verantwortung für unsere Gesellschsaft?“ gehalten, das am 9. Mai 2023 von ATD Vierte Welt in Bern veranstaltet wurde. Die Tagung bildete einen Höhepunkt des Forschungsprojekts „Armut – Identität – Gesellschaft“, das von 2019 bis 2023 durchgeführt wurde und an dem Frau Odier als Co-Forscherin beteiligt war. Sie spricht hier über Ansätze für Veränderungen, die sie während der Dialogphase mit Fachleuten, mit denen die Ergebnisse des Projekts geteilt wurden, festgestellt hat.

Wie wir während dieses halbtätigen Kolloquiums gesehen haben, ist dieses Projekt lehrreich. Es gibt Erkenntnisse und Denkanstösse für die Arbeit und regt einen an, die Armut ebenso wie die Mechanismen zu hinterfragen, die sie vervielfältigen. Seine Resultate können aber auch Antrieb zur Veränderung sein.

Neue Mittel und Wege

Dieses Projekt hat die Teilnehmer und Teilnehmerinnen verändert und sie mit den Einschränkungen vertraut gemacht mit denen andere leben müssen. Dadurch haben sie neue Mittel und Wege kennen gelernt um die Rechte der Nutzer und Nutzerinnen zu stärken und die institutionelle Gewalt zu verringern, der diese bei der Sozialhilfe und/oder beim Kinderschutz ausgeliefert sind.

Ich gebe hier zwei Beispiele von Engagements bzw. Verbesserungen von Praktiken, die sich bei den Angestellten der Fachstellen eingestellt haben als die Resultate dieser Arbeit bekannt gegeben wurden.

  1. Bei einem Gespräch mit zwei Friedensrichtern haben uns diese berichtet, dass sie erkannt haben, wie wichtig es für die vorgeladenen Personen ist, von Personen begleitet zu werden, denen sie vertrauen. Sie selbst würden seither in ihrer Kommunikation im Zusammenhang mit der Vorladung systematisch erwähnen, dass die Personen in Begleitung einer Vertrauensperson erscheinen können. Die beiden Richter erwähnten auch, dass ihre Arbeit erleichtert werde, wenn die Vorgeladenen begleitet sind. Diese fühlten sich sicherer und dadurch liessen sich leichter Lösungen oder Möglichkeiten für eine konstruktive Unterstützung finden.
  1. Bei einem Dialog in einem anderen Kanton wiesen die Assistentinnen und Assistenten darauf hin, wie interessant der Austausch über den Zugang zu den Dossiers und die Bedeutung des Inhalts für die Betroffenen war. Einige gaben an, dass das Wissen, dass die Dossiers von den Personen, über die sie schreiben, eingesehen und gelesen werden können, habe zu einem veränderten Ton und Schreibstil in diesem Bericht geführt und sogar ihre professionelle Haltung beeinflusst. Sie erwähnten, dass sie insbesondere wertende Ausdrücke vermeiden und – wenn es sich um Kinder handelt – Fakten verwenden, mit denen man die Entwicklung im Nachhinein rekonstruieren kann.

Durch diesen Beispiele wollte ich unterstreichen, dass dieses Projekt sehr konkrete Ansätze und Methoden für die Praxis aufzeigt, die verschiedene Fachkenntnisse und Erfahrungen berücksichtigen. Diese Ansätze und Methoden können somit nützliche Instrumente für die verschiedenen Beobachtungsstellen darstellen, die insbesondere die Aufgabe haben, Praktiken aufzuzeigen und zu verbreiten, die es ermöglichen, die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer im Zusammenhang mit prekären Lebensumständen und/oder der Kinder- und Jugendpolitik zu stärken.

Übersetzung von Theres Bärtschi