Weihnachtsbotschaft 2023 – Appell an Ihre Solidarität

„Wisst ihr, wie viel eine Idee wiegt? Eine Idee wiegt weniger als ein Tisch. Eine Idee wiegt weniger als eine Büchse auf dem Tisch. Sie wiegt weniger als die Luft in der Büchse. Eine Idee wiegt nichts. Und doch hat die Idee ein Gewicht, das der Existenz. Ich habe eine Idee, also existiere ich. Das ist das Gewicht einer Idee.“

Das sagte Quentin, Volontär von ATD Vierte Welt, bei der Rückschau auf seine Arbeit in der Familienförderungs-Siedlung. Dort werden Familien willkommen geheissen, die nirgendwo sonst Platz finden. Manche Kinder sind davon überzeugt, dass sie fürchterliche Kinder sind. Doch wenn Quentin sie in der Nachbarschaft und im Atelier* trifft, bewundert er ihren Durchsetzungswillen. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von an- deren Kindern, die er kennt.

Er hört ihre Ideen und stellt fest: „Das sind keine Launen, sondern Träume, an denen sie von einer Nacht zur anderen, Woche für Woche und manchmal von einem Jahr zum anderen festhalten. Das ist eine beeindruckende Konstanz für Kinder, die meist mit dem Unvorhersehbaren leben!“

Quentin erzählt: „Es ist Ende November. Bei Einbruch der Dunkelheit lese ich mit Daniel ein Buch. Auf einem Bild sieht er am Fusse des Berges einen Verkaufsstand mit Leckereien. ‚Ich habe eine Idee‘, ruft er aus. ‚Für Weihnachten werden wir eine Hütte bauen und den Leuten auf der Strasse Eis schenken!‘

Ich teile seinen Plan gleich mit Hassane und Ousseyn, die in ‚Das grösste Buch der Welt‘ vertieft sind – ein Buch, das ihnen bis zum Kinn reicht. Dann machen sich alle Kinder an die Arbeit. Wir bauen die Hütte. Während 30 Tagen sagt mir Daniel immer wieder: ‚Das ist meine Idee, gell?‘

Diese Hütte ist auch eine Huldigung für seinen Vater, der als Maurer keine Arbeit findet. Wenn wir die Bretter zusammensetzen, die Wände streichen und die Lampen anschliessen, flüstert Daniel: ‚Das ist meine Idee.‘ Tag für Tag den ganzen Dezember ein leises Hintergrundgeräusch: ‚Das ist meine Idee.‘ Das Eis hat sich dann in Crêpes verwandelt. Wir backen Hunderte davon und ein paar Tage vor Weihnachten, an einem Mittwoch, verteilen wir sie mit Schokolade gefüllt an die Leute, die vorbeigehen.

Wer kennt das Gewicht von Daniels Idee? Welchen Wert hätte er denn selbst, wenn seine Idee kein Gewicht hätte? Daniels Idee hat Gewicht, weil sie gehört wurde, weil sie von anderen anerkannt wurde und weil sie mithilfe seiner Freunde tatsächlich Gestalt angenommen hat. Es gibt keine kleinen Ideen. Die Kinder des Ateliers haben grossartige, ehrgeizige Ideen. Wir sollten sie ernst nehmen, damit sie wissen, dass sie etwas erreichen können.

Freitags übe ich mit Daniel seine Leseaufgaben. Wenn ich ihn dann nach Hause bringe, bittet er mich oft, mit einem Geist, einem Zauberer oder dem Weihnachtsmann zu telefonieren. Seine Bitte zeigt mir, dass Kinder weiterhin auf die Grossen hoffen, auch wenn diese sie schon enttäuscht haben.

Was auch immer wir tun, wir tragen immer die gleiche Verantwortung den Kindern gegenüber: ihnen zu zeigen, dass sie keine Angst mehr vor der Welt haben müssen, ihnen zu versichern, dass sie sehr wohl Riesen sind und dass wir im Universum das gleiche Gewicht haben.“

***

„Man kann nicht mehr davon träumen, Kosmonaut zu werden, denn wenn man arm ist, ist man darauf reduziert, als Armer zu träumen“

Diese Aussage befindet sich im Schlussbericht des Forschungsprojektes „Armut – Identität – Gesellschaft“, das von 2019 bis 2023 in der Schweiz anhand eines Prozesses des Wissen-Kreuzens zwischen Menschen mit Armutserfahrung, aus der Berufspraxis und aus der Wissenschaft durchgeführt wurde.

Wie die Geschichte von Quentin und Daniel fordert diese Aussage uns auf, die Träume aller Kinder anzuhören, an sie zu glauben und in sie zu investieren. Sie veranlasst uns, die Ideen jener ernst zu nehmen, die am wenigsten gehört, am wenigsten beachtet werden.

Und bedeutet dies nicht, eben genau in die Projekte zu investieren, die von vornherein keine Chance bekommen haben, Wirklichkeit zu werden? Um sie stattdessen im Rahmen innovativer Aktionen zu verwirklichen, die Jung und Alt dazu bewegen, vereint in die Zukunft zu gehen und zu handeln.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, mit einer Spende an ATD Vierte Welt ermöglichen Sie Projekte, die nur dank eines kontinuierlichen Engagements realisiert werden. Sie sind alle durch ein und denselben Traum verbunden, dem eines würdigen Lebens für jeden Menschen unter uns.

→ Strassenbibliotheken in Basel und Genf, die Kinder mit der Freude am Lernen versöhnen.

→ Familien- und Kreativaufenthalte im nationalen Zentrum, die den TeilnehmerInnen die Möglichkeit bieten, neue Kraft zu schöpfen.

→ Tapori-Treffen in Rorschach und Treyvaux, die Kinder im Geiste der Freundschaft und der Solidarität zusammenbringen.

→ Veranstaltungen der Dynamik für Jugendliche und junge Erwachsene auf der Suche nach einem sozialen Engagement.

→ Volksuniversitäten Vierte Welt, als Orte der Weitertbildung für Menschen, die in Armut leben, und als Orte des Bürgerdialogs.

→ Co-Weiterbildungen und zahlreiche Projekte, die im Lichte der Forschungsergebnisse von «Armut – Identität – Gesellschaft» auf den Weg gebracht werden.

Wir danken Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Grosszügigkeit und Verbundenheit mit der Bewegung ATD Vierte Welt und wünschen Ihnen schöne Feiertage.

*Das Atelier für schöpferisches Lernen und Gestalten wird von ATD Vierte Welt betreut. Wie die Strassenbibliothek bietet es den Kindern des Viertels einen Raum zum Lesen, für Begegnungen und für kreatives Schaffen.

Corinne Martin und Claude Hodel Co-PräsidentInnen

Perry Proellochs Nationale Delegation