Zur Überwindung der Armut mit einer Stimme sprechen

Oleksandra Valtchuk. 9. Mai 2023

Oleksandra Valtchuk, Konferenzdolmetscherin und Verbündete von ATD Vierte Welt, beim Kolloquium „Endlosschlaufe Armut: welche Verantwortung für unsere Gesellschaft?“, 9. Mai 2023 in Bern.

Noch gut erinnere ich mich an das erste Mal, dass ich nach Treyvaux kam: zum ehrenamtlichen Dolmetschen bei der Generalversammlung 2018. Dabei hatte ich einen dicken Stapel Glossare mit auf der Internetseite zusammengesuchten Begriffen, annotierte Texte, Jahresabschluss und Budget. Ich hatte gerade meine Abschlussprüfungen im Konferenzdolmetschen bestanden, und gleichzeitig mit dem Arbeitsleben begann ich also auch mein Engagement als ehrenamtliche Dolmetscherin bei ATD Vierte Welt.

ATD Vierte Welt in der Deutschschweiz bekannter zu machen

In den folgenden Jahren dolmetschte ich immer häufiger im nationalen Zentrum: nicht nur an Generalversammlungen, sondern auch an nationalen Koordinationstagen, bei „ATD Entdecken“, beim Sommerseminar… Und das ist nur eine Auswahl der Anlässe, bei denen ATD Vierte Welt auf Verdolmetschungen (Übertragung von gesprochenem Wort in eine andere Sprache) angewiesen ist. Hinzu kommen noch unzählige (schriftliche) Übersetzungen für die Website, die Zeitung, den Newsletter und die interne Kommunikation. Seit vergangenem November sind auch unser Co-Präsidium und damit der Vereinsvorstand von ATD Vierte Welt Schweiz wirklich zweisprachig. Nationale Projekte wie die Studie „Armut – Identität – Gesellschaft“ (AIG) liefen und laufen parallel zur aktiv erwünschten Entwicklung, ATD Vierte Welt auch in der Deutschschweiz bekannter zu machen und somit wirksamer die Strukturen im gesamten Land angehen zu können.

Sich ungefähr zu verstehen genügt nicht

Und wie in allen anderen Bereichen haben ATD Vierte Welt und die in der Bewegung engagierten Armutsbetroffenen auch hier ein Recht auf eine hohe Qualität. Auch hier und gerade hier, wo es so viel um Zuhören, Verstehen, Diskutieren geht – und darum, kollektives Wissen zu erarbeiten und in gemeinsam erarbeitete und gleich verstandene Begrifflichkeiten zu verpacken, ist es wichtig, sich nicht darauf zu verlassen, dass man sich schon irgendwie ungefähr versteht. Denn wie unter anderem das Projekt AIG gezeigt hat, werden Wörter und Konzepte, die sich auf den ersten Blick zu ähneln scheinen, in verschiedenen Sprachen unterschiedlich verwendet und verstanden. Gut zu dolmetschen und zu übersetzen, bedeutet daher nicht nur, zwei Sprachen gut zu beherrschen, sondern vor allem, ein Gespür dafür zu haben, wie die gleiche Botschaft in diesen beiden Sprachen übermittelt werden kann, unabhängig von den genauen Worten. Es erfordert auch, Abstand von seinen eigenen Meinungen und Prioritäten nehmen zu können und sich möglichst nah in das einzudenken, was die Rednerin oder der Autor meint; sie oder ihn wirklich verstehen zu wollen.

Mit einer Stimme sprechen können

Gerade bei ATD Vierte Welt ist dies keine reine intellektuelle Spielerei: Bei den verschiedenen Veranstaltungen ist es das Ziel und gibt es die Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören und gemeinsam formulierte Botschaften so in die Gesellschaft hinauszutragen, dass sie sowohl in der Deutschschweiz als auch in der Romandie die gleiche Schlagkraft haben – damit wir in diesen zwei (und irgendwann auch in den anderen?) Landesteilen zur Überwindung der Armut mit einer Stimme sprechen können.

Oleksandra Valtchuk, Dolmetscherin und Verbündete von ATD Vierte Welt

Die folgenden Personen haben in den letzten Jahren Übersetzungen angefertigt und/oder als DolmetscherIn für ATD Vierte Welt gearbeitet – immer ehrenamtlich. Wir danken ihnen ganz herzlich und widmen ihnen diesen Artikel: Barbara Angerer, Theres Bärtschi, Marie-Rose Blunschi Ackermann, Stella Borrelli, Erica Forney, Philippe Gasser, Werner Hölscher, Oscar Hughes, Doris Jacques, Séverine Jörger, Petra Lackner, Morgane Lüthi, Clara Migliarini, Sarah Priouzeau, Susanne Privitera, Myriam Reguia, Regina Reuschle, Blandine Schmidiger, Léa Seillé, Johanna Stadelmann, Marina Stoffel, Adrian Tanner, Jeannette Thias, Oleksandra Valtchuk, Lena Werneke und Laura Zettl.