Zugang zum Recht

Pascal Coullery

Pascal Coullery beim Kolloquium  „Endlosschaufe Armut: welche Verantwortung für unsere Gesellschaft?“ am 9. Mai 2023 in Bern

Pascal Coullery, Dozent und Forscher an der Fachhochschule Soziale Arbeit BFH, spezialisiert auf Sozialrecht und Soziale Sicherheit, erklärt, wie er erst richtig durch das Forschungsprojekt „Armut – Identität  Gesellschaft“ erfasst, begriffen und nachvollzogen hat, wie sehr der Zugang zum Recht für Menschen mit Armutserfahrung ganz schwierig sein kann.

Mein Auftrag ist es, etwas dazu zu sagen, was ich jetzt mit dem Projekt mache, jetzt in meinem beruflichen Umfeld. Aber ich möchte auch etwas dazu sagen, was das Projekt mit mir gemacht hat. Ich muss dazu etwas ausholen. Ich kenne ATD Vierte Welt schon lange. Einen ersten Kontakt hatte ich bereits 1996, im letzten Jahrtausend. Seither hatte ich immer wieder mit ATD Vierte Welt zu tun, im Rahmen von Projekten, die ich beruflich begleitet habe. So etwa die Sozial- und Armutsberichterstattung des Kantons Bern. Ich bin Jurist und ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt hat – immer wenn ich Kontakt mit ATD Vierte Welt hatte, ist das Thema wieder aufgepoppt –, hat mich auch irritiert und beschäftigt: der Zugang zum Recht, gerade für Menschen mit Armutserfahrung. Natürlich wusste ich bereits 2019, als ich zum Projekt „Armut – Identität – Gesellschaft“ gestossen bin, dass der Zugang zum Recht gerade für Menschen mit Armutserfahrung ganz schwierig sein kann. 

Und trotzdem, verschiedene Aspekte und wichtige Aspekte, und die Ausprägung des Problems „Zugang zum Recht für armutsbetroffene Personen“, habe ich erst richtig erfasst und begriffen und auch nachvollziehen können, als ich diesen intensiven Austausch in diesem Projekt hatte mit Personen, die Armutserfahrung haben. 

Und das hat mich weiter beschäftigt in diesem intensiven Austausch, den wir im Projekt hatten, weil wir ganze Halbtage und ganze Tage zusammen verbracht haben. Das kannte ich vorher in dieser Form nicht in der Zusammenarbeit mit ATD Vierte Welt.

Das hat mich beschäftigt und ich habe mit einer Kollegin, die auch Juristin ist und an der Hochschule Luzern unterrichtet – ich arbeite an der Berner Fachhochschule – ein Forschungsprojekt entwickelt und definiert, das wir beim Schweizerischen Nationalfonds eingereicht haben. Das ist die Stiftung, die im Auftrag des Bundes und des Bundesrates Forschungsgelder verteilt. Und in diesem Forschungsprojekt haben wir versucht, genau dieses Problem des Zugangs zum Recht in einem Teilbereich zumindest, mal in der Sozialhilfe, zu erfassen und zum Thema zu machen. Unser Forschungsprojekt heisst: „Recht und Wirklichkeit in der Sozialhilfe: Rechtsmobilisierung im interkantonalen Vergleich“. Das tönt jetzt ein bisschen sperrig, aber es muss schlau tönen, wenn man Forschungsgelder erhalten will. 

Das Projekt hat verschiedene Ziele. Zwei möchte ganz kurz erwähnen. Ein ganz wichtiges Ziel dieses Projekts ist es, herauszufinden, inwieweit das Recht selber Hindernisse und Stolpersteine enthält, die dazu führen, dass Personen, die eigentlich einen Anspruch auf Sozialhilfe hätten, darauf verzichten, dass das Recht dazu nicht mobilisiert wird. Und ein zweites Ziel des Projektes ist es, dass wenn wir Missstände entdecken würden – und das würde ich als Arbeitshypothese einmal aufstellen, dass wir zu Missständen im rechtlichen Bereich kommen werden –, dass wir dann natürlich auch Reformvorschläge für das kantonale Sozialhilferecht definieren. Die erfreuliche Nachricht ist, dass der Nationalfonds unserer Projekt genehmigt hat und uns für vier Jahre Forschungsgelder zuspricht – der Hochschule Luzern und der Berner Fachhochschule – damit wir in vier Jahren (das Projekt hat im letzten Herbst begonnen und endent im August 2026) an diesen rechtlichen Fragen arbeiten können.

Ich glaube, das Beispiel dieses Forschungsprojektes zeigt sehr schön auf, was aus diesem „Croisement des savoirs“ [Wissen-Kreuzen] entstehen kann. Wir haben eigentlich angefangen, angeknüpft an das Expertenwissen von Armutsbetroffenen und haben das gekreuzt mit juristischem Fachwissen. Und da ist etwas entstanden, ein Projekt, das vermutlich nicht entstanden wäre, ohne dieses „Croisement des savoirs“.