Wir sollten genauso ein Teil der Gesellschaft sein wie andere

Sönne bei einer Wissenswerkstatt in nationalen Zentrum, 2021

Sönne bei einer Wissenswerkstatt in nationalen Zentrum, 2021

Als ich vor drei Jahren zusagte in der Peer-Gruppe Armutserfahrung des Projekts „Armut – Identität – Gesellschaft“ mitzuwirken, wusste ich nicht, was mich als ATD Vierte Welt Aktivistin erwartet und was ich wirklich beitragen könnte. Bald lernte ich neue Menschen kennen, welche sich in einer ähnlichen Situation befanden, wie ich. So fühlte ich mich nicht allein. Jede und jeder hatte seinen Rucksack. Dies führte zu einem Zusammenhalt und ich gewann an Sicherheit. Dadurch konnte ich mich immer mehr einbringen und auch viel lernen.

Man hörte uns zu

Die gemeinsamen Austauschtreffen mit Fachleuten und Forschenden im nationalen Zentrum in Treyvaux oder per Zoom waren sehr aufschlussreich, aber auch anstrengend. Ich musste viel nachdenken, aufmerksam sein und die Eindrücke zuerst verarbeiten. So kam es auch vor, dass ich gewisse Ausdrücke und Formulierungen der Peergruppe Forschung nicht verstanden habe und auf eine Erklärung angewiesen war. Doch die beiden Peergruppen Forschung und Fachleute sind gut auf uns eingegangen. Man hörte uns zu und es fand eine offene Diskussion statt.

Ein wichtiges Thema war für mich die Empathie der Institutionen mit den Betroffenen, sowie eine bessere Zusammenarbeit zwischen Menschen in Armut und den Institutionen, wie auch unter den Institutionen.

Besonders beeindruckt haben mich dabei die Aussagen von z.B. Sozialarbeitenden und Ärzten, dass sie die Begleitung von Klienten oder Patienten einfühlender angehen wollen; auch wenn der Spielraum gerade bei der Sozialberatung sehr klein ist.

Etwas muss sich radikal verändern

Für mich ist klar, bezüglich unserer Situation muss sich in der Gesellschaft etwas radikal verändern. 

Ich denke da vor allem, dass gewisse Ansichten anders beurteilt werden und der Umgang mit uns Betroffenen empathischer wird. 

Das muss sich u.a. auch in der Ausbildung der Sozialarbeitenden auswirken. Unsere Ansichten müssen auch mehr berücksichtigt werden.

Wir werden auch nicht aus der Armut kommen, weil sich jetzt die Sozialhilfe oder die IV-Stelle empathischer zeigen, aber man hat dann doch noch mehr den Willen und den Mut etwas zu tun.

Für mich und meine Mutter war das normal

Wer die Armut von Generation zu Generation miterlebt hat, für den ist es nicht Neues, weil man es einfach hinnimmt. Für mich und meine Mutter war das normal. Wir kannten und kennen es nicht anders. Als ich selber obdachlos wurde, habe ich mich von meinen FreundInnen und von allen zurück gezogen. Ich fühlte mich der institutionellen Macht ausgeliefert. Man wird klein gehalten, eingeschüchtert und traut sich gar nicht mehr etwas zu sagen, etwas zu tun oder seine Rechte einzufordern. Die Folge ist die Vereinsamung. Das sollte nicht passieren. Wir sollten genauso ein Teil der Gesellschaft sein wie andere. Und meine Hoffnung ist, dass das Projekt „Armut – Identität – Gesellschaft“ dazu beitragen wird.

Sönne, ATD Vierte Welt Aktivistin von Basel