Weihnachtsbotschaft 2021

Margot Gillard. Teil eines Bildes gemalt in Treyvaux, Sommer 2021

Margot Gillard, Teil eines Bildes gemalt in Treyvaux, Sommer 2021

Wie Feuer im Herzen der Menschen 

„In uns allen steckt der Funke, Gutes zu tun. Aber noch viel besser ist es, ein richtiges Feuer zu entfachen! Ich meine, wenn es uns eines Tages gelingt, im Herzen der Menschen wirklich ein Feuer zu entfachen, dann wird sich etwas ändern!

Diese Worte sind von Alain Meylan, einem Mann, der von der Erfahrung und der Hoffnung der Armen in unserem Land durchdrungen ist. Sie sind wie ein Echo auf Joseph Wresinskis Worte zur Bedeutung des Gebens und ermahnen uns gleichzeitig: „Geben ist viel angenehmer und besser, als immer nur zu empfangen. Das wird mit der Zeit eine Schande.“ Dies hatte er als Kind erfahren, als er sah, wie das tägliche Teilen seiner Mutter mit noch Ärmeren unsichtbar wurde durch die lauten Almosen, die sie für ihre eigene Familie erhielt. 

In der heutigen schwierigen Zeit bleibt diese Mahnung wichtig für alle, die sich erniedrigt fühlen durch lautstarke Hilfeleistungen. Wichtig ist sie aber auch, um die zahlreichen Gesten des Teilens und der Unterstützung zu schätzen, wenn sie Frucht einer Suche nach Gerechtigkeit sind. 

Wie hört, anerkennt und unterstützt man das Teilen und Geben von Menschen, die ärmer sind als wir selber? 

Sandro wohnt auf einem Campingplatz. Er hat seine prekäre Arbeit verloren und ist niedergeschlagen. Sein Nachbar, der mit einem knappen Minimum lebt, bemüht sich, ihm eine Mahlzeit herzurichten. Er stellt sie vor Sandros Tür, denn er weiss, dass er zur Zeit nur nachts aufsteht. Drei Monate Rückstand hat er schon mit seiner Miete. Der Nachbar nimmt vom Geld, das er selber vom Staat als Wiedergutmachung1 erhalten hat, damit Sandro nicht noch einmal auf der Strasse landet. 

Einander nahe zu bleiben, dazu lädt uns der Nachbar von Sandro ein. 

Während den Sommeraufenthalten im Haus des nationalen Zentrums in Treyvaux konnten zahlreiche Familien, Jugendliche und Einzelpersonen diese Nähe erleben. 

Ein junges Paar teilt seinen Kummer mit: Seine Bitte, für diesen Aufenthalt seine zwei Monate alte Tochter bei sich zu haben, ist abgelehnt worden. Im Heim, wo die Kleine weilt, können die Eltern sie dreimal pro Woche zweieinhalb Stunden lang besuchen. Was für übermenschliche Anstrengungen, um sich dem zu stellen und ihr Bestes zu geben, damit sich ihre Hoffnung erfüllt und sie ihre kleine Tochter bald zuhause empfangen können! 

Der Vater will den ersten Buchstaben vom Namen seiner Tochter aus dem Holz der gemeinsamen Skulptur herausarbeiten, und im Seidenatelier malt die Mutter den ganzen Vornamen mit leuchtenden Farben. Auf einem zweiten Bild malt sie eine Mutter, die ihr Kleinkind liebevoll auf dem Arm hält. 

An mehreren Morgen sieht man die Väter sägen, schleifen und schrauben, damit aus gebrauchten Brettern ein wunderbarer Kochherd für das Spiel- haus der Kinder entsteht. „Wenn ich mir sage, dass das für meine Kinder ist, und dass sie weiterhin mit andern hierher kommen werden, dann freue ich mich und es macht mich stolz.“ 

Einige Mütter sagen, wie wichtig es ist, ausbrechen zu können aus der Furcht, um Unterstützung bitten zu müssen für ihre Kinder, mit dem Risiko, „für unfähig gehalten zu werden, sie zu erziehen“.

Zusammensein mit andern Familien, die ähnliche Erfahrungen machen, mit Ähnlichem zu kämpfen haben, dieselben Hoffnungen teilen und sich gegenseitig wohlwollend unterstützen, ihre Fähigkeiten teilen und einander beraten. 

Mit diesem Wohlwollen füreinander mögen Weihnachten und die kommenden Festtage dieses Feuer in unseren Herzen und unserem Geist wach halten! 

Anne-Claire Brand, Schweizerische Koordination

1. Wiedergutmachung des Unrechts gegenüber fremdplatzierten Kindern