Unsere Teilnahme an der SKOS-Frühjahrstagung eröffnet interessante Perspektiven

Mit der SKOS, der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, verbinden viele unter uns die Hoffnung, dass sie die Praxis der Sozialdienste in der Schweiz verbessern kann. Deshalb haben wir nicht lange gezögert, uns für die aktive Teilnahme an der Bieler Tagung 2024 zum Thema „Kinder in der Sozialhilfe – die vergessene Gruppe?“ zu bewerben, denn mit dem AIG-Forschungsbericht „Beziehungen zwischen Institutionen, der Gesellschaft und Menschen in Armut in der Schweiz: eine Gewalterfahrung, die weitergeht“ und den Ergebnissen der „Werkstatt Familie“ hat ATD Vierte Welt zu dieser Thematik Wesentliches beizutragen. Das haben auch die Verantwortlichen der SKOS so gesehen und wir wurden eingeladen, an dieser Tagung für Sozialarbeitende und Sozialbehörden am 21. März einen Workshop durchzuführen. Wir gaben ihm den Titel „Eine armutsfreie Zukunft für Kinder schaffen – Eltern und Institutionen gemeinsam“.

Die intensive Vorbereitung mit Aktivistinnen und Fachleuten, die an den beiden Forschungsprojekten teilgenommen hatten, hat sich gelohnt: Die insgesamt 145 Teilnehmenden reagierten mit Interesse auf unsere Präsentation und stellten den beiden Aktivistinnen, einer Mutter aus der Romandie und einer Mutter aus der Deutschschweiz, Fragen dazu, wie sie ihre Praxis als Sozialarbeitende verbessern können – ihnen, denen über Jahre hinweg von Sozial- und von Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden kaum je wirklich zugehört worden war! Wir befanden uns also mitten im Kapitel E des AIG-Forschungsberichts, das in vier Handlungsfeldern (Politik, Gesellschaft, Institutionen, Bildung) notwendige Veränderungen beschreibt, darunter eben diejenige, dass 

Menschen mit Armutserfahrung in die Organisation und den Betrieb von Institutionen einzubeziehen sind und dass das Wissen, die Kompetenzen und die Erfahrungen von Eltern, deren Kinder fremdplatziert sind, vermehrt anerkannt und in den Institutionen wertgeschätzt werden (S. 44).

Im abschliessenden Plenum der Tagung haben zwei Teilnehmende spontan einige wichtige Punkte aus unserem Workshop hervorgehoben. Audrey Hauri, Mitglied der Geschäftsleitung der SKOS, hat den beiden Müttern für ihren wertvollen Beitrag gedankt und gesagt, sie nehme aus dem Workshop eine inspirierende Leitlinie für die Sozialdienste mit: 

den Eltern ermöglichen, ein Vorbild für ihre Kinder zu sein und alles zu tun, damit die Kinder stolz auf ihre Eltern sein können.

Prof. Jean-Michel Bonvin, Universität Genf, wies auf die Warnung (mise en garde) von ATD Vierte Welt hin, dass interinstitutionnelle Zusammenarbeit, die ohne die Familien gemacht wird, diese noch mehr ausschliesst und dass die Zusammenarbeit der Institutionen mit Eltern und Kindern ein wesentlicher Faktor ist, um das Fortbestehen der Armut von Generation zu Generation zu stoppen. Er machte dann den Vorschlag, dass Pilotprojekte finanziert werden, in denen Sozialarbeitende, Behörden und Familien in aller Freiheit gemeinsam die Bedingungen und Vorgehensweisen erarbeiten können, die eine solche Zusammenarbeit möglich machen. Die Resultate können dann von den Behörden und den Sozialarbeitenden in der Schweiz für ihre Funktionsweise und ihre Praxis verwendet werden. Diesen Ball werden wir sicher aufnehmen – und hier berichten, wie die Geschichte weitergeht.

Annelise Oeschger, Mitglied Steuergruppe Valorisierung des Projekts „Armut – Identität – Gesellschaft“