Unsere Ambitionen für die nächsten drei Jahre

Illustration von Urs Kehl zum Austausch über unsere nationalen Ambitionen. Gezeichnet am 9. und 10. November 2024.

Es war schon beeindruckend mit welcher Intensität und Begeisterung die anwesenden Vertretungen von Basel, Genf und Rorschach, der verschiedenen Ortsgruppen, Pole und Dynamiken am Wochenende vom 9./10. November des letzten Jahres sich im nationalen Zentrum in Treyvaux einbrachten. In mehreren Gruppen diskutierten sie zunächst die Ergebnisse ihrer Vorbereitungsarbeit für dieses Treffen, d.h. eine breite Palette von Ambitionen, Prioritäten und Herausforderungen für die Bewegung in den nächsten drei Jahren. Jede Gruppe hatte dann die Aufgabe, zwei als vorrangig empfundene Ambitionen auszuwählen. Am Schluss des ersten Tages kamen 20 Ambitionen, welche dann am zweiten Tag in drei Gruppen vertieft, sortiert und zusammengefasst wurden. Während des gesamten Prozesses wurde betont, dass jede Ambition sowohl für sich genommen bedeutsam ist als auch mit den Werten und Leitlinien von ATD Vierte Welt übereinstimmen soll. 

Was wir gemeinsam in der Bewegung bauen, ist Ausdruck dessen, was wir in der Schweiz und weltweit mit andern sein und werden wollen. Das gemeinsame Engagement auf dieser Baustelle bringt Inspiration, Kreativität und Freude.

Es geht aber auch um ein gemeinsames Nachdenken über Armut und soziale Ausgrenzung. Jeder Mensch soll in seiner Würde geachtet werden, zum gesellschaftlichen Leben und Achtung der Unterschiedlichkeiten beitragen, alle Menschenrechte für sich beanspruchen und an der Gestaltung einer fairen Wirtschaft unter Achtung der Umwelt teilhaben können. So steht es in unseren Visionen, die über dem stehen, was wir an Zielen, Ambitionen und Prioritäten zusammentragen. Wir alle sind aufgefordert ein Teil davon zu sein, mit dem was jeder Einzelne durch sein Wissen und seinen Fähigkeiten beitragen kann.

Drei nationale Ambitionen

Mit Anerkennung für die reichhaltigen erarbeiteten Ziele führte die Nationale Delegation eine Synthese durch indem sie drei Hauptrichtungen herausfilterte und in drei nationale Ambitionen umzuformulieren: 

1. Solidarität und Vertrauen durch Präsenz und Nähe aufbauen. ATD Vierte Welt verstärkt ihre Aktions-Präsenz in den Quartieren und Dörfern mit Personen (einschliesslich Kindern und Jugendlichen) und Familien, die aufgrund von Armut ausgegrenzt werden, mit besonderem Augenmerk auf die am stärksten isolierten Personen. Diese Nähe und das gemeinsame Leben sind die notwendige Voraussetzung, um die Isolation der Menschen zu durchbrechen, Partizipation zu ermöglichen und unser kollektives Wissen zu verankern.

2Handlungsmacht erlangen. ATD Vierte Welt stärkt die Handlungsmacht von Menschen mit Armutserfahrung, indem mit ihnen Netzwerke zur Begleitung, Meinungsäusserung, Ausbildung, Forschung und Dialog entwickelt werden. Nur so ist es möglich, die Realität der Armut bekannt zu machen, zu verstehen und anzuerkennen, und um gemeinsam mit anderen Akteuren in den Institutionen und der Zivilgesellschaft die Veränderungen zu gestalten, die auf nationaler Ebene erforderlich sind.

3. Junge Menschen bei ihrer Suche von bisherigen und neuen Formen ihres Engagements unterstützen. ATD Vierte Welt begleitet junge Menschen in ihrem Wunsch, neuen Schwung in die Überwindung der Ungerechtigkeiten der Armut zu bringen, indem sie mit ihnen die Entwicklung und den Ausdruck ihrer Motivationen, Energien, Ideen, Kenntnissen und Fähigkeiten fördert.

Bereiche des Engagements und der Aktionen

Diese Ambitionen sind Orientierungspunkte für die Ausrichtung und Priorisierung unserer Aktionen in den nächsten Jahren. Jedes Team, jede Dynamik, jeder Sektor und jede Gruppe ist aufgefordert, entsprechend ihren Entscheidungen und Möglichkeiten, ihre Planung für Engagement und Aktionen im Lichte dieser drei Ambitionen zu überprüfen. Die Arbeit an diesen Ambitionen hat zahlreiche Vorschläge in verschiedenen Bereichen hervorgebracht. Sie werden hier unter drei Handlungsfeldern zusammengefasst und stellen eine mögliche Quelle für die Verfeinerung und Erweiterung unserer Aktionen dar.

  • Die Werkzeuge, das Wissen und die vielfältigen Ausdrucksformen, die ATD Vierte Welt bereits aufgebaut hat, nutzen und weiterentwickeln:
    • beginnend mit der Forschung „Armut – Identität – Gesellschaft“ und ihrer Valorisierung, dem Schweizer Dokument der Familienbaustelle „Eine Zukunft ohne Armut für unsere Kinder aufbauen: Eltern und Gesellschaft gemeinsam“, Buchlesungen und künstlerischen Kreationen und Ausstellungen wie „Kunst auf der Strasse“;
    • durch Dialog und Partnerschaften zu einer veränderten Sichtweise und Praxis in der Gesellschaft (breite Öffentlichkeit, soziale Einrichtungen, Ausbildungsstätten, Medien, Politik und Recht usw.) beizutragen – mit besonderem Schwerpunkt auf unserer Arbeit in der Deutschschweiz;
    • indem unsere Finanzierungsquellen diversifiziert und konsolidiert werden, insbesondere durch die Erweiterung unserer SympathisantInnendatei, um die unternehmerische Freiheit der Bewegung zu gewährleisten.
  • Auf einen 17. Oktober 2027 von nationaler Bedeutung hinarbeiten:
    • indem wir interessierten BürgerInnen und durch sie einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, ihr Wissen über Armut mit den Menschen und Familien, die sie erleben, zu vertiefen, Vorurteile abzubauen, den Blickwinkel zu ändern und als BürgerInnen an Handlungsmacht zu gewinnen;
    • indem die Mobilisierung der Mitglieder der Bewegung verstärkt wird;
    • durch die Entwicklung von Partnerschaften mit Institutionen sowie mit nationalen, kantonalen und kommunalen Behörden.
  • Unsere Art und Weise, „Bewegung zusammen“ zu machen, weiterentwickeln:
    •  durch den Aufbau regelmässiger Treffen, bei denen es darum geht, was von Armut betroffene Familien heute erleben, um das Wissen über die Armut im Land zu erneuern;
    • durch die Förderung der Handlungsfähigkeit von AktivistInnen, Verbündeten und VolontärInnen als Akteure des Wandels;
    • indem allen Familienmitgliedern Raum und Mittel zur Meinungsäusserung und Partizipation geboten werden;
    • indem neue SympathisantInnen gewonnen werden (insbesondere unter jungen Menschen, die von der Innovation der „Sprungbretter für das Engagement“ profitieren können);
    • durch die Stärkung der lokalen Sektoren und Gruppen (insbesondere in der Deutschschweiz);
    • durch die Entwicklung des Dialogs und des Informationsaustauschs innerhalb der Bewegung in der Schweiz;
    • indem die Bewegung nah an ihren Mitgliedern bleibt und sie AktivistInnen, Verbündeten und VolontärInnen ermöglicht, sich gegenseitig auf ihren jeweiligen Wegen des Engagements zu unterstützen, und so dafür sorgt, dass niemand in seinem Engagement ohne Gegenüber bleibt.

Die drei nationalen Ambitionen sind „nur“ Ambitionen. Wir meinen damit, dass sie Inspirationen und keine Verpflichtungen sind, dass sie unsere Kreativität und unser Handeln nicht einschränken, sondern unterstützen und lenken sollen. Sie bieten uns einen breiten Horizont, innerhalb dessen wir unsere Handlungen und unser Engagement entwickeln können. Es liegt an uns, sie zu berücksichtigen und uns zu eigen zu machen, damit unsere Aktionen untereinander kohärent sind und zu unserem Auftrag beitragen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und bereichern. 

Florent BambaraEugen BrandClaude HodelJean-Luc Martrou, Véronique Martrou und Perry Proellochs

Nationale Delegation