Stopp der Diskriminierung aufgrund von Armut

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Diskriminierung“ hören? Rassismus? Sexismus? Homophobie? Religionsbezogene Vorurteile? Auch, dass es Diskriminierung aufgrund von Armut gibt, muss überall auf der Welt und in der Schweiz gesetzlich und gesellschaftlich anerkannt und auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden.

Rechtliche Anerkennung

Laut Artikel 8, Absätze 1 und 2 der Bundesverfassung „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Und dieses Verbot:

„Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen […] der sozialen Stellung […]“.

Man könnte meinen, eine solche Anerkennung der Tatsache, dass es Diskriminierung aufgrund der sozialen Stellung gibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Und doch ist das längst nicht überall der Fall.

Dieses Verbot in die Realität umsetzen

Gleichzeitig ist eine blosse rechtliche Anerkennung nicht genug – aus der gesetzlichen Verankerung des Diskriminierungsverbots ergeben sich Pflichten und Verantwortung für den Staat und seine Behörden, dieses Verbot in die Realität umzusetzen. Wie die Arbeit von ATD Vierte Welt in Belgien mit Olivier de Schutter, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, zeigt: Es kommt nicht nur darauf an, was im Gesetz steht, sondern vor allem darauf, wie es umgesetzt wird. Ebenso stellt sich die Frage, von wem und für wen das Gesetz überhaupt gemacht wird und wessen Interessen es demzufolge schützt, welche Systeme der Macht- und Ressourcenverteilung es zementiert. 

Auch die ersten Eindrücke aus dem Aktionsforschungsprojekt „Armut – Identität – Gesellschaft“ führen uns vor Augen: 

Trotz des Diskriminierungsverbots erleiden armutsbetroffene Menschen in der Schweiz heute Verletzungen im Kontakt mit der Gesellschaft und mit Institutionen.

Diese Verletzungen betreffen ihre Identität und die Identitätsbildung und sind diskriminierend.

Diskriminierung bekämpfen

Es ist eine traurige Realität, dass vermutlich fast jede Leserin und jeder Leser unserer Zeitung schon am eigenen Leibe eine Form von Diskriminierung erlebt hat, aufgrund der sozioökonomischen Stellung, des Geschlechts, aufgrund von Migrationsstatus oder -hintergrund. Für alle diese Formen von Diskriminierung gilt: Nur wenn man die (häufig von den Verantwortlichen beabsichtigte) Isolation überwindet, gemeinsame Worte findet und sich zusammen für ein Ende der Diskriminierung einsetzt, lässt sich etwas ändern. Gesetze dürfen weder in ihrer Formulierung noch in ihrer Umsetzung allein die Privilegierten schützen. Nicht an denen, die Diskriminierung erleiden, darf es sein, sich ständig rechtfertigen oder erklären zu müssen, warum sie sich in einer bestimmten Situation befinden.

Armut als Diskriminierungsursache

Das Konzept Diskriminierung wird inzwischen mit den eingangs genannten Dimensionen wie Rassismus und Sexismus in Verbindung gebracht, und die Bekämpfung dieser Art von Diskriminierung ist in vielen Kontexten ein anerkanntes Ziel. Was jedoch fehlt, ist das Bewusstsein für Armut als Diskriminierungsgrund und die Anerkennung der Dringlichkeit ihrer Bekämpfung. Deswegen soll der 17. Oktober, Welttag zur Überwindung der Armut, dieses Jahr durch verschiedene Aktionen an verschiedenen Orten in der Schweiz1 ein Beitrag dazu sein, die Menschen aufzurütteln und eben dieses Bewusstsein zu schaffen, gerechten Zorn über diese Ungerechtigkeit zu entfachen.

Oleksandra Valtchuk, ATD Vierte Welt ständige Volontärin

1. Das endgültige Programm dieser Aktionen wird im Sommer auf unserer Website www.atd.ch/de zu finden sein.