Sommerbotschaft 2022

Eden Hailey, Rorschach 2021

Eden Hailey, Rorschach 2021

Ich habe gesehen, dass ich es richtig mache

Monika hat die Bewegung ATD Vierte Welt durch einen Helfer auf dem Weg zum Arzt kennengelernt. Jetzt beteiligt sie sich an der Volksuniversität Vierte Welt, zuerst in der Vorbereitungsgruppe in ihrer Stadt und nun auch im ATD-Zentrum in Treyvaux. 

Was mir diese Bewegung bedeutet? Bevor ich sie kannte, hatte ich das Gefühl, allein zu sein. Oft fragte ich mich, ob es überhaupt etwas nütze, sich zu wehren. Als ich dann hierher kam, sah ich: Was ich tue, ist richtig. Viele Leute um mich herum wissen, dass ich arm bin und Sozialhilfe erhalte. Aber sie wissen nicht, was das wirklich bedeutet, trotz meiner Erklärungen. Aber wenn ich hierher komme, habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Der anhaltende Stress, die Eingriffe in das persönliche Leben, die Verurteilungen, vor denen sie sich jahrelang schützen mussten, isolieren die Menschen in Armut allzu oft und lassen sie am Wegrand stehen. 

Aufschnaufen, Ruhe finden 

Heute sind es Tausende auf der Welt, Frauen und Männer, Jugendliche und Kinder, die unterwegs sind und einen Halt suchen, immer in der Angst, von den Ihren getrennt zu werden. 

Sandra geht mit ihrem sechsjährigen Sohn viermal pro Tag den Weg bis zur Schule. Sie hält seine Hand und stösst den Kinderwagen mit der Kleinsten. Sandra ist schwanger und je näher die Geburt kommt, umso mehr ermüdet sie das Gehen und die Sorge um die Obhut ihrer Kinder.

Sandra sucht diesen Halt, wo sie aufatmen und ihre Familie vertrauensvoll versammeln kann. Sie will alles tun, damit ihre Kinder nicht – wie sie selber einst – fremdplatziert werden. 

Die sie begleitende Strassensozialarbeiterin sagt: „Sie ist eine Überlebende!“

Die ersten Personen, die Sandra zu diesem Halt verhelfen, sind andere junge Mütter, welche die selbe Realität kennen. Zu ihnen gehört Cristiana, deren Sohn in einem Heim lebt. Sie bringt Sandra Windeln aus dem „solidarischen Kleiderschrank“. 

Wieviele solcher Orte müssten noch geschaffen werden? Orte, an denen armutserfahrene Väter und Mütter, Erwachsene, Jugendliche und Kinder aufatmen, ihr eigenes Denken und Suchen ausdrücken und ihr Wissen und ihren Horizont erweitern können. 

Die Einsatzorte der Bewegung ATD Vierte Welt in den Wohnvierteln und in den Empfangs- und Begegnungshäusern sind solche Orte. Hier können Sandra und viele andere Menschen bedingungslose Achtung und grundlegendes Vertrauen erfahren. 

Ihr könnt Euch mein Glück nicht vorstellen, wenn ich abends mit der Gewissheit einschlafen kann, dass meine kleine Tochter morgens immer noch bei mir sein wird, wie ein Sonnenstrahl.

Was immer die Welt denken mag, jeder Mensch, wie arm er auch sei, besitzt die Fähigeit zu lieben und geliebt zu werden.“ Joseph Wresinski 

Hélène Cassignol Madiès, Ko-Präsidentin

Anne-Claire Brand, Schweizerische Koordination