Inmitten von ATD Vierte Welt

Selbstporträt, Tapori-Werkstatt in Treyvaux am 4. und 5. Dezember 2021

Mit Kindern und Familien

Als ich im vergangenen Frühjahr im Rahmen meines Master-Studiengangs in Kinderrechten auf der Suche nach einem Praktikum war, nahm ich Kontakt zu ATD Vierte Welt auf. Angeregt wurde ich durch die Lektüre eines Textes von Claude Ferrand, einem ständigen Volontär in Frankreich1. Zum ersten Mal lernte ich eine Organisation kennen, die nicht für“, sondern „mit“ den betroffenen Menschen arbeitet und auf deren Wissen und ihre Erfahrung baut. Das hat den Wunsch in mir geweckt, die Bewegung von innen heraus zu erleben und zu entdecken.

Während meines dreimonatigen Praktikums habe ich viel gelernt und neue Einsichten gewonnen. Jede Woche war etwas Besonderes und brachte neue Bereicherungen mit sich. So hatte ich die Gelegenheit, die verschiedenen Aktivitäten der Bewegung zu entdecken – insbesondere die Aktivitäten mit Familien und Kindern.

Strassenbibliothek in Genf

Jeden Mittwochnachmittag organisiert ATD Vierte Welt eine Strassenbibliothek in Genf. Diese Erfahrung hat mir einen Einblick in die Lebenssituationen mehrerer Kinder und Familien gegeben. Und ich habe es genossen, Zeit mit dem Team in Genf zu verbringen, das mich herzlich im Haus der Vierten Welt empfangen hat. Während unserer Gespräche wurde mir klar, dass Geduld, Respekt und Engagement ein wesentlicher Teil der Arbeit der Bewegung sind. All diese Momente der Begegnung, der Diskussion und des gemeinsamen Lesens mit den Kindern werden für immer in mir verankert bleiben.

Ein „Tapori-Wochenende“ in Treyvaux

Am Wochenende vom 4. und 5. Dezember 2021 fand im nationalen Zentrum in Treyvaux ein Tapori-Treffen statt. Mehr als 20 Kinder aus der ganzen Schweiz kamen dort zusammen. Trotz der verschiedenen Sprachen und Kulturen, die dort vertreten waren, verstanden sich die Kinder schnell und schufen eine starke Bindung untereinander – eine schöne Lektion für uns Erwachsene. Das Treffen war eine Gelegenheit für wunderbare Diskussionen über die Stärken und Schätze, die jedes Kind in sich trägt und die es in seinem Leben voranbringen. Liebe, Einfühlungsvermögen, Herkunft, Menschen zum Lachen bringen, verzeihen können, lieben, trösten: All diese Werte standen im Vordergrund dieses unvergesslichen Treffens, das im Zeichen von Emotionen und Liebe stand.

In diesen Monaten habe ich viele Realitäten erkannt, die ich vorher nicht wirklich zu sehen gewagt hatte. Im Rahmen der Bewegung und der Gespräche, die ich dort geführt habe, ist mir klar geworden, dass Armut mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Und ich habe erkannt, wie sehr ATD Vierte Welt Kinder und Familien dabei unterstützt, ihre Rechte einzufordern. In meinen Augen sind Tapori und die Strassenbibliotheken Räume, die Freiheiten, Möglichkeiten und Ressourcen schaffen, um bestimmte Widerstandshandlungen einzuleiten.

Dieses Praktikum erwies sich als weit mehr als ein vorübergehendes Erlebnis im Rahmen meines Studiums. Ich habe in diesen Monaten enorm viel gelernt und bin daran gewachsen, vor allem durch den Kontakt mit den Menschen, die unermüdlich für ihre Würde und ihre Rechte kämpfen.

Estelle Brosteaux, Studentin im Master-Studiengang Kinderrechte an der Universität Genf
und ATD Vierte Welt Praktikantin in Treyvaux von September bis Dezember 2021
Übersetzung von Petra Lackner

1. Ferrand, Claude (2001). De l’exclusion sociale et culturelle à la pédagogie du croisement des savoirs. Pensée plurielle, nº 3, pp. 35-52. [Vonder sozialen und kulturellen Ausgrenzung zur Pädagogik des Wissen-Kreuzens. Pluralistisches Denken; Artikel noch nicht ins Deutsche übersetzt].