Geld gibt mir keine Macht

Leeres Portemonnaie und Hand

Geld gibt mir keine Macht. Geld beschert mir mehr Ärger als Macht. Das ist zwar krass formuliert, aber es ist einfach so. Ich war schon immer arm und bin schon viel zu lange arbeitslos. Die Sozialhilfe bezahlt meine Miete plus Nebenkosten und die Krankenversicherung. Nach verschiedenen Abzügen reduziert sich meine Unterstützung auf CHF 500.- pro Monat, und das ist das, was mir für Essen, Kleidung, Wäschewaschen, ÖV und alles andere übrig bleibt. Diese Unterstützung ist ganz eindeutig keine Kaufkraft sondern nur ein: „Sieh zu, wie du damit klarkommst, mehr kriegst du nicht!“

Jetzt geht es einfach nicht mehr

Gestern war es schon schwierig, sehr schwierig. Jetzt, mit dem erdrückenden Preisanstieg, geht es nicht mehr. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen und steigen immer weiter, meine Unterstützung aber nicht. Deshalb muss ich mich irgendwie durchwursteln, manchmal sogar schummeln. Mal leihe ich mir hier CHF 20.- oder da CHF 50.- aus. Nie mehr als CHF 50.-, sonst beisst sich die Katze in den Schwanz. Meine Familie, Freunde oder Nachbarn helfen mir. 

Für mich ist es Ehrensache, das geliehene Geld so schnell wie möglich zurückzugeben, selbst wenn ich es mir vom Mund absparen muss.

Wann immer möglich, nehme ich die Sonderangebote wahr – aber oft kann ich sie mir nicht leisten, weil ich dann grosse Mengen kaufen müsste. Mit Marseiller Seife stelle ich mein Waschmittel selber her. Auf den Caritas-Markt habe ich keinen Anspruch. Manchmal bekommt man in der Sozialküche für CHF 5.- eine Mahlzeit.

Aber selbst mir dem Zustupf, der Unterstützung von Vereinen, die im sozialen Bereich tätig sind, und den CHF 500.- Sozialhilfe geht es jetzt einfach nicht mehr. Also…?

Also mache ich ein paar Stunden Schwarzarbeit. Wenn ich dieses magere Einkommen melden würde, würde man es mir sofort wieder wegnehmen.

In meiner Situation bin ich quasi gezwungen zu lügen, obwohl es mir tausendmal lieber wäre, eine andere Lösung zu finden. Ich möchte wirklich arbeiten und nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sein. Die Schwarzarbeit, dieser kleine Job, gibt mir Mut und Kraft, er gibt mir Hoffnung und Lust, eine echte Arbeit zu finden. 

Aber mich und meinen Lebenslauf will keiner, so einfach und traurig ist das. Und so empörend.

Was es bräuchte…

Was es bräuchte, um gegen diese Armut zu kämpfen, wäre eine Art bedingungsloses Einkommen. Und der Staat könnte einen Teil der Sozialhilfegelder verwenden, um die Ausbildung von Personen zu finanzieren, die schon lange arbeitslos sind, und um Arbeitsplätze zu schaffen, in denen ihre Fähigkeiten nützlich wären.

Ich muss mir täglich etwas Neues einfallen lassen und Lösungen finden, um Tag für Tag etwas vorwärts zu kommen. Angesichts dieser Krise muss sich aber auch die Sozialhilfe neu erfinden. Und zwar dringend!

Aussagen einer Aktivistin von ATD Vierte Welt, aufgezeichnet durch Perry Proellochs, Redaktor ATD Vierte Welt

Übersetzung von Regina Reuschle