Drei Bordbücher

Die Gruppe im Jura

Die Gruppe im Jura berichtet von 33 Jahren aktiver Verbundenheit

Gespräch mit Cécile Monnat

Die Begegnung mit ATD Vierte Welt

Ich habe ATD im Jahr 1967 kennengelernt. Ich war damals 23 Jahre alt und wollte ein anderes Umfeld als das meine kennenlernen. Ich hörte den Aufruf von Père Joseph Wresinski an junge Menschen, sich verlassenen Familien in den Notsiedlungen rund um Paris zuzuwenden. So fuhr ich nach Pierrelaye, wo uns Père Joseph zuerst auf diese Begegnung vorbereitete. Anschliessend verbrachte ich drei Wochen in der Siedlung La Cerisaie. Dann kam ich in die Schweiz zurück, zutiefst berührt, ja aufgewühlt. Mein Vater fürchtete damals sehr, dass ich mich als Langzeitvolontärin bei ATD engagieren würde. Aber nein, ich blieb Lehrerin, heiratete und hatte Kinder. In jenen Jahren behielt ich die Verbindung mit ATD über die Informationen Vierte Welt. Nur schon darin zu lesen, führte mich in die Realität der Familien, die ich gekannt hatte, zurück.

Im Jahr 1979 traf ich dann Marie-Madeleine (Mado) Prongué.* Mit ihren eigenen Kindern machte sie bei Tapori mit. Zusammen beschlossen wir, eine Verbündetengruppe zu gründen. Wir machten unsere erste Sitzung im Bahnhofbuffet von Pruntrut, mit zwanzig Personen. Sechs von ihnen blieben dabei.

Dann kam ich in die Schweiz zurück, zutiefst berührt, ja aufgewühlt.

Unsere Unternehmungen

In einer Verbündetengruppe kann jedes Mitglied seine Ideen und Sichtweisen einbringen und dort aktiv werden kann, wo es sich wohl fühlt. Da ich in der Katechese tätig war, kannte ich die Lehrkräfte. Wir starteten mit den Klassen und liessen die Kinder das Buch La Boîte à musique lesen. Vor kurzem schlug ich auch unserer Lesegruppe ein Buch von ATD vor. Es bereicherte unsere Treffen dann mehrere Monate lang. Als uns dann sein Autor, Jean-Michel Defromont, selber im Jura besuchte, freute er sich, vor 100 Personen zu stehen, die alle sein Buch gelesen hatten. Immer rund um Bücher und Zeugenberichte luden wir auch Nelly Schenker ein und organisierten mehrere Vorführungen des Films Was ist aus uns geworden? Die Gruppe machte auch Fundraising-Aktionen für die Renovation des Hauses in Treyvaux und für das Bühnenstück Verborgene Farben. Mit unseren drei, vier Aktionen pro Jahr versuchen wir vor allem, ATD bei den Jurassiern bekanntzumachen. Sie sollen wissen, dass es eine Bewegung gibt, welche die Armen in die Mitte ihres Wirkens setzt.

Mit unseren drei, vier Aktionen pro Jahr versuchen wir vor allem, ATD bei den Jurassiern bekanntzumachen. Sie sollen wissen, dass es eine Bewegung gibt, welche die Armen in die Mitte ihres Wirkens setzt.

Ab 1987 Spuren hinterlassen

Zuerst war es eine Idee von Mado. Die Worte von Père Joseph hatten uns geprägt. Er hatte stets wiederholt, dass wir schreiben und eine Spur unseres Wirkens hinterlassen müssten. So machten wir von Anfang an Protokolle unserer Sitzungen. Dann, im Jahr 1987, stellte der Historiker Bernard Prongué, der Gatte von Mado, eine Sammlung der ersten zehn Jahre unseres Einsatzes im Jura zusammen. Zehn Jahre später folgte sein zweites Heft. Ich selber verfasste dann die dritte Sammlung, die unsere neueste Geschichte wiedergibt. Dieses Logbuch wurde nachher an rund hundert Personen in unserer Gegend verteilt und im Gemeindearchiv von Pruntrut hinterlegt. Wir halten es für sehr wichtig, dass in der Gemeinde und ihrer Geschichte den Menschen, die umfassende Armut erleben, Platz eingeräumt wird. Wie die beiden vorherigen Logbücher werden wir auch diesen dritten Band im internationalen Zentrum für Erinnerung und Forschung der Bewegung ATD Vierte Welt in Baillet-en-France hinterlegen. Es ist unser Akt der Verbundenheit.

Nachdem sie diese Verbündetengruppe jahrelang geleitet hatte, konnte Cécile Monnat diese Aufgabe nun an Audrey Chèvre weitergeben, die zur jüngeren Generation gehört. Sie hat die Geschichte von ATD Vierte Welt im Jura dank der Logbücher entdeckt.

Wir halten es für sehr wichtig, dass in der Gemeinde und ihrer Geschichte den Menschen, die umfassende Armut erleben, Platz eingeräumt wird.

Interview : Hélène Cassignol




*Marie-Madeleine Prongué (1939-2019) war jahrelang im Parlament des Kantons Jura und auch im Ständerat. Im 2009 wirkte sie an der Schaffung der Stiftung ATD Vierte Welt Schweiz mit und war Mitglied ihres Vorstands bis 2017.